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Wandprojekt, OZ, Hamburg-Stellingen
Foto: Maik Reichelt
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Wandprojekt, OZ, Hamburg-Stellingen
Foto: Maik Reichelt
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Wandprojekt, OZ, Hamburg-Stellingen
Foto: Maik Reichelt
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Wandprojekt, OZ, Hamburg-Stellingen
Foto: Maik Reichelt
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Wandprojekt, OZ, Hamburg-Stellingen
Foto: Maik Reichelt
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Wandprojekt, OZ, Hamburg-Stellingen
Foto: Maik Reichelt
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Wandprojekt, OZ, Hamburg-Stellingen
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Wandprojekt, OZ, Hamburg-Stellingen
Foto: Maik Reichelt
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Wandprojekt, OZ, Hamburg-Stellingen
Foto: Maik Reichelt
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Wandprojekt, OZ, Hamburg-Stellingen
Foto: Maik Reichelt
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Wandprojekt, OZ, Hamburg-Stellingen
Foto: Maik Reichelt
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Wandprojekt, OZ, Hamburg-Stellingen
Foto: Maik Reichelt
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Wandprojekt, OZ, Hamburg-Stellingen
Foto: Maik Reichelt

Die Wand im Park

Es war an einem kalten Wintertag Anfang März, als ich mit OZ einen Spaziergang durch Hamburg machte. Er zeigte mir viele Wände, die er damals bemalt hatte. Die meisten Bilder waren jedoch übergemalt oder entfernt worden. Wir erreichten einen Park und gingen hintereinander einen verwunschenen Weg entlang. Ich fühlte mich wie im Niemandsland. Auf einmal standen wir vor einer verdreckten Betonwand, ungefähr 200 Meter lang und acht Meter hoch, verborgen hinter einem Dickicht von Gestrüpp und Gebüsch. Die zugewachsene Mauer bildete die Rückseite eines Recyclinghofes, und die Luft stank bestialisch nach Müll. Es war ein abgelegener Ort, lediglich ein Fußgängerweg Richtung Stadion führte 30 Meter entfernt vorbei. OZ tauchte plötzlich ins Gebüsch ab und rief mir zu: "Warte mal hier". Ich wartete 20 Minuten. Es war eiskalt, und ich fror. Schließlich kam der Mann, der mal wieder nur eine leichte Jacke trug und die Kälte überhaupt nicht zu spüren schien, mit einem breiten Grinsen zurück und sagte: "Das sieht doch gut aus hier. Aber man könnte es noch schöner machen." Ich konnte kaum glauben, dass OZ sich ernsthaft für diese Mauer interessierte. Kein normaler Sprüher würde an solch einem reizlosen Ort irgendwo in einem riesigen Park malen wollen. Wir gingen noch ein bisschen weiter. Mir fiel auf, wie sehr OZ sich für die Natur interessierte. Er zeigte mir viele Vogelarten und wusste sie alle beim Namen zu nennen. Mir war längst unerträglich kalt, doch OZ hatte die Ruhe weg und blieb immer wieder stehen, um sich irgendetwas anzusehen. Langsam wurde es dunkel. Wir verabredeten uns für den nächsten Tag, und ich ging nach Hause. OZ blieb im Wald.

Einen Tag später fuhren wir mit dem Rad wieder in den Park. An der Stelle vom Vortag sah ich, dass OZ schon angefangen hatte, sich durch das Gestrüpp einen Weg zur Wand freizukämpfen. Allein diesen Pfad zu bilden, musste Stunden gedauert haben. Ich dachte nur: Wie kann man so besessen sein von einer Wand, die sowieso niemand sehen kann vor lauter Gestrüpp? Die Lage der Wand war einfach völlig unspektakulär. Doch OZ interessierte das alles nicht die Bohne. Er hatte sich fest vorgenommen, die gesamte Wand freizumachen. Ich lächelte über OZ´ neues Projekt und hielt es für wahnsinnig. Es würde Monate dauern, auf diesem langgezogenen Areal das Dickicht, den Müll, Bauschutt und was sonst noch alles dort herumlag wegzuschaufeln.

In den nächsten Wochen sah ich OZ immer weniger. Ständig war er an der Wand, und ich musste schon dorthinfahren, wenn ich ihn zu Gesicht bekommen wollte. Zwei Monate waren bereits um, und OZ war immer noch Tag für Tag dabei, totes Gebüsch und Unkraut auszureißen. Er erzählte mir fröhlich, welche Tiere er gesehen hatte, und zeigte mir stolz, wieviel Müll er schon gesammelt hatte. Ein widerlicher Gestank wehte ununterbrochen vom Recyclinghof herüber, und in der Luft schwebten tausende von verbrannten Teilchen. Meistens hielt ich es dort nur ein paar Minuten aus, dann fingen meine Augen an zu jucken, und ich wollte nur noch nach Hause und mich duschen.

Langsam nahm die Sache Formen an. Es waren fast fünf Monate herum, und die Wand war nun prima zu sehen. Mittlerweile hatte OZ zwanzig große blaue Beutel gesammelt, gefüllt mit Müll, Scherben und Flaschen. Die Wand war nun freigelegt, aber noch nicht bemalt. Bevor OZ damit beginnen konnte, musste er die Mauer erst einmal mit einer Drahtbürste aufrauen. Er meinte, das allein werde noch einmal einige Wochen dauern. Eines Tages kam ein Mann vom Gartenbauamt zu OZ und wollte von ihm wissen, was er da mache, für welchen Bezirk er arbeite, wo seine Genehmigung sei, denn das sei sein Revier hier. Seit dem Tag kam OZ lieber nur noch nachts. Dem Mann wollte er nicht noch einmal begegnen. Er wollte bei der Arbeit seine Ruhe haben. Auch sonst hatte er tagsüber zu viele Sachen erlebt. So hatten sie ihm einmal sein Fahrrad geklaut, das er an einen Baum gelehnt hatte. An den Wochenenden liefen hunderte von Fußballfans vorbei, die ihn bei der Arbeit störten. Er regte sich über die Menschheit auf, die ihre Bierflaschen und ihren Müll achtlos auf seine schöne Fläche warfen. An einem Tag sagte er zu mir: "Ich muss Dir unbedingt etwas zeigen." Ich erschrak. Hatte er etwas Schlimmes entdeckt? Zum Glück nicht - er hatte einen Koffer gefunden voll mit Graffitifotos. Ein Sprüher hatte ihn im Gebüsch vergraben, wohl um die Beweisfotos nicht zu Hause zu haben. Einige Wochen später wollte der Junge nachts an sein Depot und sprach verzweifelt OZ an: "Hast Du hier etwas Bestimmtes gefunden?" OZ entgegnete mit einem verschmitzten Lächeln: "Meinst Du die Rolex?" Der Junge wusste gar nicht, was er sagen sollte, rückte dann aber mit der Sprache heraus. OZ ließ ihn kurz warten und kam mit dem Koffer zurück. Erleichtert nahm ihn der Junge an sich und verschwand.

Inzwischen war der Herbst vorbei, und es wurde wieder kälter. OZ hatte nun eine Fläche von fünf Fußballfeldern von Müll und Gestrüpp befreit, Bäume gestutzt, Hecken geschnitten, Laubhügelbeete für Igel angelegt, den Boden geharkt. Für seine Gärtnerarbeit hatte sich OZ extra mit Harke, Schaufel, Säge und Eimer ausgerüstet. Ein richtig hübscher gepflegter Park war an der Mauer entstanden. Im November lagen die Temperaturen nachts bei fünf Grad, und OZ nutzte jede Minute, um sein Projekt fertigzubekommen. Immer wieder fand er neue Sachen, an denen er arbeiten konnte. Ein schwerer morscher Baumstamm war ihm schon lange ein Dorn im Auge. Er wusste nicht, wie er ihn zur Seite schaffen könnte. In der Nähe des Waldes war eine Baustelle. OZ ging dorthin und fragte einen Baggerfahrer, ob er ihm helfen könne, den Stamm wegzutragen. Der wollte hundert Euro dafür haben. OZ zahlte ihm fünfzig, und der Bauarbeiter schleppte ihm den Baumstamm zur Seite. Mittlerweile waren einige Flächen schon so gut freigelegt, dass die 200-Meter-Mauer vom Parkweg sehr gut zu erkennen war. Ein Freund von mir wollte dort nun gern malen. Er fuhr abends mit Vorstreichfarbe und einigen Dosen zur Wand und malte bis ein Uhr nachts. Die restliche Farbe versteckte er im Gebüsch. Als er am nächsten Tag zur Wand fuhr, um sein Bild zu fotografieren und die Farbe wieder mitzunehmen, fand er sie nicht mehr. OZ war noch später in der Nacht gekommen und hatte die Farben benutzt, um sein Bild zu malen. Und was für eins! Eine dreißig Meter lange bunte Pizza strahlte von der Wand. Einige seiner Farben erkannte er wieder. Er musste lachen und fand es super, dass nach ihm in derselben Nacht noch jemand ein riesiges Bild gemalt hatte. Es war eine regelrechte Farbexplosion. Das Nachtwerk musste Stunden gedauert haben.

Kurz vor Weihnachten war es soweit: Das Wandprojekt war fertig. Meter für Meter hatte OZ innerhalb von drei Nächten mit 80 Dosen die gesamte Mauer bemalt. Eine bunte Pizza schlängelte sich neben der anderen, Farbe an Farbe, Kreis an Kreis, Umrandung an Umrandung. Ich brauchte fünf Minuten, um die Mauer abzuschreiten und sie zu filmen. Das Mauerepos stand gerade mal zwei Tage, da zog es auch schon andere Sprüher an. Durch OZ´ Mammutwerk war die Stelle plötzlich nicht mehr langweilig. Ich hoffe, dass alle Graffitischätzer dieses Kunstwerk noch lange bewundern können, bevor irgendein Kunstbanause kommt und die Mauer wieder grau streicht.

erzählt von DSF CREW. aufgeschrieben von Insa Müller, Freie Journalistin.

OZ
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